Die Kuh, die ihren Hof kannte
Ich bin in Rumänien geboren und hatte die allerschönste Kindheit, die man sich wünschen kann. Stell dir dichte Wälder vor, echte Sommer und klirrend kalte Winter, ein kleines Dorf weit, weit weg von allem. Keine Straßenlaternen, nur unzählige Sterne. Die alten Frauen trugen Kopftuch. Wie auch meine Oma. Bei ihr auf dem Hof war ich zuhause. Im Winter war es nur in der Küche warm, wenn der Ofen angefeuert wurde. In den übrigen Räumen schmückten Eisblumen die Fenster. So kalt die Winter waren, so heiß waren die Sommer. Ich höre noch das Knarzen, wenn der Eimer mit Wasser aus dem Brunnen gezogen wurde. Das Wasser war so kalt, dass die Zähne schmerzten. Im Garten schmeckten die kleinen Erdbeeren sommersüß. Abends kamen die Kühe von der Weide, trotteten durch die Straße, jede wusste genau, wo ihr Hof war.
Wie selbstverständlich es war, dass alle Kinder im Dorf zusammen spielten. Egal, bei welchem Hof wir über den Tag hinweg hinkamen, jeder hatte etwas zu essen parat und fütterte die ganze Meute. Ich lief den ganzen Sommer über barfuß, aß am Abend sieben Butterbrote, fütterte die Hühner und schlief wie ein Stein. All meine Erinnerungen an damals fühlen sich heil an und richtig.
Bananenpremiere
Meine Eltern wurden politisch verfolgt. Die Ausreise nach Deutschland schien ihre einzige Option. Für mich war es eine Reise in die Einsamkeit.
Ich war sechs Jahre alt. Beim Landeanflug auf Nürnberg war ich eingeschüchtert von den vielen Lichtern unter uns. Die Welt war auf einmal vollgestopft mit Menschen, Autos, Lärm. Meine Eltern hatten jeweils einen Koffer dabei, auf einem saß ich nach der Landung und aß die allererste Banane meines Lebens. Sie war noch ein bisschen grün, genau so mag ich sie heute noch am liebsten. Obwohl nein, das stimmt nicht ganz. Ab und zu esse ich eine Banane und dann ist sie eher grün. Aber eigentlich mag ich Bananen nicht.
Die Schüchternheit kam mit der Landung und blieb wie eine chronische Krankheit. Aus irgend einem Grund eckte ich überall an. „Warum bist du so still, so laut, so komisch?“ „Wieso weinst du schon wieder?“ „Niemand kann dich leiden. Geh weg.“
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass soziale Isolation dieselben Schmerzareale im Gehirn aktiviert wie körperlicher Schmerz. Kein Wunder, dass Menschen bereit sind, sich zu verbiegen, nur um dazuzugehören. Ich war einsam und es tat weh. Ich wollte nicht länger ich sein.
Cool sein
Ich fing an, beliebte Klassenkameraden zu beobachten. Wie musste man sein, damit andere einen mochten? Nach und nach änderte ich mein Verhalten, bis die alte Elke wie ausradiert war. Sensibel und nah am Wasser gebaut? Vorbei. Ich wusste irgendwann, wie man sein musste, um beliebt zu sein.
Die Party zu meinem 25. Geburtstag war legendär. Wir luden zu dritt ein und es kamen um die zweihundert Gäste. Auch sonst lief es gut. Egal, wohin ich kam, die in meinen Augen wichtigen, die coolen Leute kannten mich. Na ja. Sie kannten meine bis dahin erfolgreichste Maske.
Wenn die Masken fallen
Es fing schon in der Schule mit einem unangenehmen Druckgefühl im Hals an, sehr viel später im Leben kamen die Panikattacken. Anfangs vergingen zwischen den Episoden Jahre. Irgendwann nur noch Wochen. Schließlich Tage. Ich wurde stationär wegen einer Depression behandelt. Die Zeit war schrecklich und gleichzeitig wunderbar. So eine Krankheit zieht dir die Masken vom Gesicht, sie schält dich, macht dich wieder roh und damit echt. Auf so einer Ebene ist Verbindung mit anderen Menschen einfacher. Natürlich auch, weil man mit der Krankheit etwas sehr Starkes hat, was einen verbindet.
Nach dem stationären Aufenthalt durfte ich in die Tagesklinik. Der wichtigste Kurs dort war für mich die Ergotherapie. Wir saßen um einen großen Tisch, jeder mit seinem Projekt, manche malten, andere arbeiteten mit Ton. Die Hände waren beschäftigt und wir redeten. Nicht nur über unsere Probleme, sondern über die Dinge in unseren Händen. „Welche Farbe nimmst du?“ „Das ist schön, wie hast du das gemacht?“ “Das erinnert mich an etwas.” Auch stille Momente waren okay, weil wir ja etwas zu tun hatten. Vorher hatte ich nie etwas mit Handarbeit zu tun, ich konnte nicht mal stricken. Seither vergeht kein Tag, an dem ich nicht etwas mit den Händen tue, egal ob im Garten oder am Herd oder mit dem Stickrahmen vor mir.
Die Wissenschaft bestätigt, was ich jeden Tag spüre: Handarbeit senkt den Herzschlag, aktiviert dieselben Hirnareale wie Meditation. Wenn die Hände arbeiten, beruhigt sich der Geist.
Mag ich mich eigentlich?
Was mir immer noch oft wie ein lästiger Klotz am Bein hängt, ist der tiefe Wunsch, gemocht zu werden. Das ist dumm und ich weiß es. Am wichtigsten sollte sein, dass ich selbst mich mag. Einfach gesagt. Gerade in Konfliktsituationen muss ich aufpassen, dass ich bei mir bleibe. Ich schütze meinen Grenzen, aber dabei zittern mir die Knie. Zu spüren, dass mein Gegenüber mich in solchen Momenten gerade nicht mag, ist immer noch schmerzhaft. Mich zu verlieren und zurück in die Depression zu fallen, ist es aber noch viel mehr. Die Panik taucht immer mal wieder auf. Vor allem dann, wenn ich einem Konflikt zu lange ausgewichen bin. Mein Umgang mit ihr hat sich allerdings geändert. Ich lasse sie sein, stelle mich meinem Problem, so gut ich kann, und schließlich geht das Panik-Mariechen wieder. Es kostet enorme Kraft und das spüre ich auch körperlich. In diesen Zeiten achte ich verstärkt auf die Dinge, von denen ich sicher weiß, dass sie mir helfen.
Was mich hält
An manchen Tagen brauche ich mehr Halt als an anderen. Dann suche ich Wärme, in einer Tasse Tee, einer Schüssel Suppe, unter einer kuscheligen Decke. Ich habe gelernt, dass Wärme nicht nur körperlich wirkt. Sie erreicht auch die Seele.
Wenn die Unruhe zu groß wird, gehe ich auf einen langen Spaziergang. Die ersten Schritte kosten Überwindung, aber dann kommen mit jedem Schritt die Kräfte zurück. Ich laufe mir die Stresshormone buchstäblich aus dem Körper.
Ausruhen ist eine Kunst, die ich (wieder) lernen musste. Ein schönes Buch. Tee. Meine dicke schwere Wolldecke. Das Handy weit weg! Den Kopf zur Ruhe kommen lassen.
Und dann ist da die Handarbeit. Mittlerweile habe ich alles Mögliche ausprobiert und bleibe neugierig. Vor allem das Sticken ist zu meinem sicheren Hafen geworden. Es hält mich, es gibt mir Ruhe. Beim Sticken passiert etwas Faszinierendes im Körper: Der Herzschlag sinkt messbar, die repetitive Bewegung der Hände beruhigt das Nervensystem. Stich für Stich fällt die Anspannung von mir ab.
Was eigentlich niemals fehlen sollte, sind Menschen, bei denen man sich sicher fühlt. Und diese Menschen zu finden ist oft schwer. Ich kann mich nicht jedes Mal in eine Depression flüchten, nur um wieder in einem Ergotherapie Raum sitzen zu dürfen. Diesen Raum muss ich mir selbst schaffen.
Vor drei Jahren hab ich aus familiären Gründen wieder eine Landesgrenze überschritten. Diesmal hab ich zwar nur das Bundesland gewechselt, aber hier bin ich nun, in Rheinland Pfalz und kenne außerhalb meiner Familie niemanden. Mir fehlen Menschen, mit denen ich mich austauschen kann. Aber das wird sich finden.
Im Gegensatz zu früher hab ich keine Angst mehr vor dem ersten Schritt. Mir ist jedoch noch sehr gut in Erinnerung, wie sich das anfühlen kann. „Was, wenn die mich komisch finden?“
Räume schaffen, in denen Masken fallen dürfen
Es ist kein Zufall, dass ich mich als Dozentin bei der VHS in Bad Kreuznach angemeldet habe. Meine Interessen sind vielfältig und ich liebe es, Wissen weiter zu geben, deswegen biete ich in jeder VHS-Saison sowohl einen Schreibkurs an als auch einen Kurs für Fotografie. Es gibt außerdem jeweils einen Kurs, der sich in unterschiedlicher Weise mit Handarbeit beschäftigt. Die Kursidee ändert sich immer mal wieder, denn ich bin noch am Experimentieren, wie ich meine Vision am besten umsetzen kann. Ich sehe es dennoch schon genau vor mir: Wir sitzen in einer gemütlichen Runde. Jeder Teilnehmer hat sein Getränk dabei. Auf den Tischen vor uns liegen Stoffe mit den unterschiedlichsten Farben und Strukturen - glattes Leinen, kühle Seide, weiche Wolle. Dazu Knöpfe, Perlen, kleine Zweige, die jemand mitgebracht hat, vielleicht Papierschnipsel mit Gedichtzeilen und natürlich Garne in allen Farben.
Wir arbeiten mit diesen Materialien, und über die Arbeit kommen wir ins Gespräch. Oder auch nicht. Schweigen ist genauso willkommen. Was zählt, ist, dass wir alle miteinander einen Raum schaffen, in dem man sich sicher fühlen kann. Kannst du dir vorstellen, dass das was für dich ist? Vielleicht suchst du sogar genau das?
Die aktuellen Kurse und Termine findest du hier auf meiner Kursseite.
Und wenn du nicht in der Nähe wohnst: Such dir etwas Ähnliches. Einen Kurs, einen Ort, wo Menschen sich treffen, wo die Hände beschäftigt sind und der Kopf zur Ruhe kommen darf. Oder fass dir ein Herz und gründe selbst einen Kurs. Solltest du dazu Fragen haben kannst du dich gern jederzeit bei mir melden.
Millionen kennen dieses Gefühl, allein zu sein. Nicht nur dir geht es so. Auch wenn es sich gerade so anfühlt. Viele haben einen Weg gefunden, wieder mehr mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen.
Du schaffst das auch. Ich glaube an dich!
Das klingt komisch von einer Fremden im Internet. Ist mir klar. Aber ich bin die, die manchmal eben einfach komisch ist. Zu hören, dass irgendjemand, irgendwo, an einen glaubt, ist wichtig. Heute bin ich das für dich. Morgen bist du es vielleicht für jemand anderen.